Dies ist ein Beitrag in eigener Sache, der aber viele, ja sogar sehr viele Menschen betrifft – Menschen, die anders als ich unter der Altersabhängigen Makuladegeneration (AMD) leiden. Die ungeheuer große Menge an Erkrankungen verdeutlichen das enorme Gewinnpotenzial für die Pharmaindustrie, besonders aber für Novartis, das seit 2012 größte Pharmaunternehmen der Welt.

Zitat von der Internetseite des DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V.):
„Die AMD ist die häufigste Ursache für eine schwere Sehbehinderung bei Menschen über 50 Jahren und in den Industriestaaten die Hauptursache für eine Erblindung bei Menschen in diesem Alter. Weltweit sind 25 bis 30 Millionen Menschen erkrankt; circa 500.000 Neuerkrankungen kommen jährlich hinzu. In Deutschland leiden schätzungsweise 4,2 Millionen Menschen an einer Form der Makula-Degeneration.“

Erst meine eigene Augenerkrankung, die mit denselben Medikamenten behandelt wird wie AMD, hat mich veranlasst, mich näher mit dem Gewinnmaximierungsverhalten von Novartis und dem Versagen unserer Politiker auseinanderzusetzen. Das Nachsehen haben im wahrsten Sinne des Wortes die Patienten.

Meine Geschichte beginnt am 23.12.2013. Eigentlich beginnt sie schon Monate vorher, aber ich merke es erst einen Tag vor Weihnachten. Ich sehe plötzlich auf dem rechten Auge alles sehr stark verzerrt, unscharf und viel kleiner. Da ich kein Hypochonder bin und auch endlich ein paar freie Tage vor mir liegen, ignoriere ich die Symptome und denke mir: „Eine Nacht drüber schlafen, und alles ist wieder ok.“ Ist es aber nicht. Auch nach dem Weihnachtsfest keine Verbesserung. Ich komme ins Grübeln, beginne im Internet zu recherchieren und rufe zwecks Vereinbarung eines Untersuchungstermins in einer nahe gelegenen Augenarztpraxis an. Ich bekomme einen Termin für den 03.01.2014. Mir ist inzwischen klar: „Da ist was Gravierendes in meinem Auge passiert. Aber was?“

Ich stoße im Internet auf eine Seite, die ziemlich genau das beschreibt, was ich gerade erlebe: RCS – Was ist das? Dort ist auch ein Link zum RCS-Forum. Weitere Infos gibt es bei WIKIPEDIA: Retinopathia centralis serosa. Ich lese sehr viel und fahre gut vorbereitet zum Augenarzt. Meine Vermutungen werden zunächst etwas belächelt. Diese Erkrankung sei ja extrem selten und meistens seien auch nur Männer betroffen. Es stellt sich dann aber heraus, dass ich wahrscheinlich recht habe. Da der Netzhautspezialist der Praxis sich gerade im Urlaub befindet, soll dieser sich aber die Untersuchungsergebnisse der OCT (Optische Kohärenztomografie) noch einmal anschauen. Er meldet sich am darauffolgenden Sonntag (!!!) telefonisch und teilt mir mit, dass sehr schnell eine weitere Untersuchung, eine sog. Fluoreszenzangiografie, erfolgen müsse – Termin 08.01.

Die Fluoreszenzangiografie bestätigt den Verdacht des Arztes. Neben einer ausgedehnten Flüssigkeitsansammlung nahe des Sehzentrums, die die Netzhaut abhebt, haben sich direkt daneben großflächige Gefäßmembranen gebildet, die bluten. Man nennt dieses Symptom CNV = Choroidale Neovaskularisation.

Als Therapiemöglichkeiten werden im Internet eine Photodynamische Therapie (PDT) – bei der RCS eine sog. „Halfdose PDT“ oder Injektionen in den Glaskörper des Auges genannt. Die Trivialnamen der Medikamente lauten Lucentis (Wirkstoff: Ranibizumab) und Avastin (Wirkstoff: Bevacizumab). Bei diesen Medikamenten handelt es sich um sog. VEGF-Hemmer (Vascular endothelial growth factor). Diese werden z. B. auch in der Krebstherapie eingesetzt, Avastin maßgeblich in der Darmkrebstherapie. Im Bereich der Augenheilkunde wird die Anti-VEGF-Therapie erst seit ca. 2006 vor allem zur Behandlung der feuchten Makuladegeneration (AMD) eingesetzt. Aber auch andere Augenerkrankungen wie die meinige werden mittels intravitrealer Injektion behandelt.

Ich erhalte meine erste Injektion am 09.01., zwei weitere im Abstand von je einem Monat. Durch die Injektionen wird das Ödem aufgelöst und die Gefäßmembranen ausgetrocknet. Die betroffene Stelle vernarbt. Je näher die Narbe am Sehzentrum ist, desto stärker sind die Seheinschränkungen. Diese Schädigungen sind irreversibel und in meinem Fall leider recht gravierend. Weitere Kontrolluntersuchungen erfolgen monatlich, da die Erkrankung momentan noch nicht geheilt werden kann und daher bei erneuten Blutungen wieder eine Injektions-Serie erfolgen muss, um irreversible Schäden möglichst gering zu halten.

Im Wartebereich der Injektionspatienten kommt man sehr schnell ins Gespräch. Bei meiner ersten Injektion lerne ich einen Patienten kennen, der gerade seine 38. Injektion erwartet und mir erzählt, dass er jedes Mal darum bange, ob die Krankenkasse die jeweils drei Injektionen wieder genehmigen würde. Privat bezahlen könne er das nicht. Dann müsse er seine Augen aufgeben. Das sagt mir ein noch nicht einmal 50jähriger Mann! Es entwickelt sich eine rege Diskussion im Wartezimmer. Sehr viele Patienten, die schon viele Injektionen (Lucentis, Avastin, Eylea (Wirkstoff: Aflibercept) oder Macugen (Wirkstoff: Pegaptanib)) hinter sich und wohl auch noch vor sich haben, leben permanent mit der Angst, dass die Krankenkassen eine Übernahme der Kosten ablehnen. Die beiden Medikamente Eylea und Macugen seien hier nur der Vollständigkeit halber genannt. Um sie soll es im Folgenden nicht gehen.

Interessant hingegen ist die Betrachtung von Lucentis und Avastin. Unter dem Titel „Experten kritisieren Preispolitik des Pharmakonzerns Novartis“ berichtete das ARD-Magazin plusminus am 04.06.2014 über die undurchsichtige Preiskalkulation – ca. 1.000,00 € für eine Lucentis-Injektion – des Marktführers Novartis (Video und Bericht der Sendung hier).

Zur Behandlung der AMD in Deutschland ist nur Lucentis zugelassen. Für die preiswerte Alternative Avastin von Roche (Novartis hält 1/3 der Anteile)  – ca. 60,00 € pro Injektion – gibt es allerdings keine arzneimittelrechtliche Zulassung, da es sich eigentlich um ein Krebsmedikament handelt, aber bei der AMD genauso wirksam ist. Der sog. Off-Label-Use stellt Ärzte vor hohe bürokratische Hürden. Allerdings ist anzumerken, dass viele Krankenkassen bereits Rahmenverträge für die Verwendung von Avastin mit Kliniken und Ärzten geschlossen haben und die Beantragung so wesentlich einfacher ausfällt. Dennoch ist lt. plusminus zu befürchten, dass sich die Kostensituation eher noch zuspitzen und die Kosten explodieren oder eben irgendwann von den Krankenkassen die Kostenübernahmen abgelehnt werden.

Im Falle meiner Erkrankung RCS – Retinopathia centralis serosa und der zusätzlich vorhandenen CNV sieht es in Deutschland sogar aufgrund der Seltenheit der Erkrankung noch dramatischer  aus. Es gibt gar keine empfohlene oder zugelassene Therapie. Die Genehmigung einer Injektionsserie – egal mit welchem der beiden Medikamente – ist immer ein Ritt auf dem Vulkan. Im RCS-Forum berichten viele verzweifelte Betroffene aus Deutschland über ihren Genehmigungsk(r)ampf. Das Problem: Wenn es einen Schub gibt, ist schnelles Handeln angesagt. Jeder Tag des Wartens verschlimmert die Situation und somit auch die irreversiblen Schädigungen.

Ein Augenarzt im Forum (Nickname: augendoc), der sich seit 30 Jahren mit Netzhauterkrankungen befasst und ein RCS-Spezialist ist, hält die Halfdose-PDT für eine der effektivsten Behandlungsformen der RCS. Aber auch diese ist in Deutschland nicht zugelassen und muss mit Kosten in Höhe von rund 1.500,00 bis 2.000,00 € selbst gezahlt werden. Das ist leider sehr vielen Patienten nicht möglich – geschweige denn die Selbstzahlung diverser Lucentis-Injektionen. Der Vollständigkeit halber erwähnt werden muss auch, dass zu den Kosten für das jeweilige Medikament ja auch noch die Injektionskosten in steriler OP-Umgebung kommen, die mit ca. 500,00 € pro Injektion zu beziffern sind.

Da ich nicht auf nichthandelnde Politiker warten möchte, habe ich bereits im März 2014 die Redaktion von stern tv angeschrieben, leider bisher ohne jegliche Reaktion. Hier mein Beitrag dazu im RCS-Forum: Mangelhafte Kostenübernahme durch GKV in Deutschland – Habe stern tv angeschrieben.

Das Augenlicht ist ein so kostbares Gut. Es ist ein Skandal, dass aufgrund von Profitgier und Gewinnmaximierungsdenken Patienten auf der Strecke bleiben, ihre Arbeitsfähigkeit verlieren und im schlimmsten Fall nahezu erblinden. Und das in einer der reichsten Industrienationen der Welt!

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Über den/die AutorIn

Kerstin Thieler

Kerstin Thieler lernte nach dem Abitur zunächst etwas Solides und machte eine Banklehre. Nach weiteren Stationen im kaufmännischen Bereich, die nie ihr Ding waren, studierte sie Wirtschaftsinformatik an der FernUni Hagen, um Familie und Studium unter einen Hut zu bringen. 2002 gründete sie die zunächst inhabergeführte Full-Service-Internetagentur double or nothing. Seit 2021 ist sie operierende Geschäftsführerin der double or nothing GmbH, die sie zusammen mit Steffen Schiffel leitet. double or nothing beschäftigt sich mit der Projektierung und dem Aufbau von Websites und Online-Shops sowie allem Facetten des Online-Marketings. Die Liebe zur Musik und Literatur begleiten ihr Leben von frühester Kindheit an. Darüber hinaus engagiert sie sich seit vielen Jahren für diverse soziale Projekte und Organisationen und ist Vorstandsmitglied des gemeinnützigen Vereins ZePGiS e.V. - Zentrum für psycho-soziale Gesundheit in Schaumburg. Schon 2014 bereiteten ihr die massiven Veränderungen in der Gesellschaft – global, aber auch in Deutschland – zunehmend Bauchschmerzen. Es bedurfte eines Ventils – des ÜBERDRUCKVENTILS.

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